Kaum in Worte zu fassen – Unsere Praktikantin Julia Hofer berichtet über ein Monat in Kenia

Julia Hofer, 29, lebt in Vorderweißenbach und Linz. Sie arbeitet im Außendienst einer Versicherung und studiert seit einem Jahr berufsbegleitend Soziale Arbeit an der Fachhochschule Linz. Ihr einmonatiges Informationspraktikum hat sie vergangenen Winter, gemeinsam mit den Studienkolleginnen Petra Führlinger und Julia Hartl, der neuen Daraja-Obfrau, in Kenia absolviert.



Wie seid ihr auf Daraja – die Brücke gestoßen, und warum habt ihr den Verein für eurer Praktikum gewählt? Ich bin auf den Verein durch einen Vortrag an der Fachhochschule aufmerksam geworden. Drei Studierende und Praktikant*innen des Vorjahres haben ihren Aufenthalt und ihre Tätigkeiten in Kenia präsentiert. Bei diesem Vortrag ging mir das Herz auf, und ich wusste: Ich möchte mein einmonatiges Praktikum ebenfalls in Kenia absolvieren und in diese Kultur eintauchen.


Was zeichnet die Arbeit von Daraja eurer Meinung nach aus, im Unterschied zu anderen Vereinen für Entwicklungszusammenarbeit? Der Verein arbeitet vollständig ehrenamtlich, und die Spenden kommen direkt den Menschen in Not zugute. Die Sozialarbeiter*innen in Kenia verwenden die Spenden nach bestem Wissen und Gewissen. Dabei handelt es sich nicht um eine vom Westen geführte Organisation, die den Sozialarbeiter*innen strenge Vorgaben macht. Stattdessen werden die Projekte in gemeinsamen Videotelefonaten besprochen und Entscheidungen gemeinsam getroffen, um sicherzustellen, dass sie sinnvoll und nachhaltig sind.


Was waren in den fünf Wochen Kenia die eindrücklichsten Erlebnisse? Wir waren insgesamt fünf Wochen in Kenia, davon vier Wochen in Emali, und haben unsere Zeit dem Projekt gewidmet. Eines der eindrucksvollsten Erlebnisse war zu sehen, wie Menschen, die fast nichts besitzen, ein so großes Herz haben können. Wir besuchten eine Familie, in der die Tante die Tochter ihrer Schwester, die an AIDS gestorben war, adoptiert und großgezogen hat. Die Tante war über unseren Besuch und die Unterstützung des Vereins so dankbar, dass es uns tief berührte und kaum in Worte zu fassen ist. Sie beschenkte uns mit selbstgemachten Ketten – die Perlen sind für kenianische Verhältnisse teuer, wenn man bedenkt, dass die Menschen dort mit weniger als einem Euro pro Tag ihr Leben bestreiten müssen. Diese Großzügigkeit und Herzhaftigkeit habe ich als sehr eindrückliches Erlebnis in Erinnerung. Ein weiterer unvergesslicher und magischer Moment war, als wir mit den Mopeds Hausbesuche bei unseren Klientinnen im Busch durchführten. Diese Klientinnen, die zu schwach oder krank waren, um an den Gruppentreffen teilzunehmen, besuchten wir zu Hause und brachten ihnen wichtige Lebensmittel. Dabei trafen wir auf eine Giraffenfamilie, die nur wenige Meter von uns entfernt war.

 


Wie sind euch die Selbsthilfegruppenmitglieder begegnet? Habt ihr schnell zueinander gefunden?

Die Mitglieder der Selbsthilfegruppen waren sehr offen und neugierig. Sie nahmen uns mit offenen Armen auf und freuten sich sichtlich über unsere Anwesenheit. Da viele der Klientinnen kein Englisch sprechen, gab es manchmal Verständigungsprobleme. Unsere Sozialarbeiter*innen waren jedoch die besten Dolmetscher, die man sich vorstellen kann


Wie habt ihr die Zusammenarbeit mit den MitarbeiterInnen von Mt. Zion, Chris, Vero und Steve erlebt?
Die Zusammenarbeit war großartig, sie waren sehr bemüht, uns eine lehrreiche und interessante Zeit zu widmen und das haben sie auch geschafft.


Könnt ihr einen Praktikumstag in Emali beschreiben? Was habt ihr gemacht?

Jeder Tag war anders, doch eines blieb stets gleich: unser morgendliches Meeting, bei dem wir gemeinsam die Erlebnisse und die Eindrücke der Klient*innen auf uns reflektierten. Während unseres Praktikums begleiteten wir viele Selbsthilfegruppen, führten Hausbesuche durch, besuchten Schulen und erlebten abwechselnd die Tätigkeiten der Mitarbeiter*innen von Mt. Zion mit. Wir klärten die Klient*innen über Sexualkunde und die Wichtigkeit der Medikamenteneinnahme auf. Besonders in Erinnerung blieb mir ein Klient, dessen Frau an den Folgen des Virus verstorben war. Er hatte den Glauben an die Medizin verloren und weigerte sich aus Schock, seine Tabletten weiter einzunehmen. Nach einiger Zeit erkannte er jedoch, wie wichtig die Medikamente für ihn und seine Umgebung sind. Da die Klient*innen mit weniger als einem Euro pro Tag auskommen müssen, wurde ihnen auch immer nahegelegt, so gut es geht, etwas Geld zu sparen. Eine weitere sehr wichtige Aufgabe bestand darin, der Stigmatisierung entgegenzuwirken, der die Betroffenen ausgesetzt sind.


Welcher Unterstützungsmaßnahmen habt ihr als sinnvoll empfunden, welche sollte man adaptieren?

Ich habe alle Unterstützungsmaßnahmen als sinnvoll empfunden. Jede Selbsthilfegruppe hat ein Projekt zur Einnahmengenerierung. Mein absolutes Lieblingsprojekt ist die Pflanzenschule, bei dem Pflanzen gezogen und verkauft werden. Diese Einnahmequelle bietet den betroffenen Klient*innen nicht nur finanzielle Sicherheit, sondern ist auch ökologisch nachhaltig. Durch den Verkauf und die Pflanzung dieser Bäume und Pflanzen wird zudem die Natur wieder begrünt.


Mit welchen Herausforderungen und Problemen haben die Menschen in Kenia derzeit zu kämpfen?

Das Erschreckendste für mich war die korrupte Polizei und Politik. Straßen wurden zum Beispiel mit Panzergittern abgesperrt, und um passieren zu können, musste man der Polizei Schmiergeld zahlen. Andernfalls drohten höhere Strafen als das Schmiergeld selbst, wie uns die Fahrer erklärten. Obwohl es in Kenia eine Schulpflicht gibt, müssen Schulgebühren bezahlt werden, die sich viele nicht leisten können. Die Sozialversicherung ist eine absolute Katastrophe und in keiner Weise mit unseren guten Systemen in Europa vergleichbar. In Kenia entscheidet jeder selbst, ob und wie viel er in das System einzahlt – die Ärmsten haben keine Versicherung, da sie ihr Geld für Lebensmittel ausgeben müssen. Je höher die Einzahlung, desto höher die Leistung im Krankheits- oder Unfallfall. Ist das Budget ausgeschöpft, hat man Pech gehabt.

Wir lernten das System durch unsere Klientin Salomi kennen. Sie hatte Gebärmutterhalskrebs und konnte sich die Behandlungen nicht leisten. Obwohl sie vorsorglich den für sie möglichen Betrag in die Sozialversicherung eingezahlt hatte, reichte die Versicherungssumme nur für einen Monat der Krebsbehandlung. Danach halfen die Familienmitglieder zusammen und drehten jeden Cent um, doch das Geld war zu knapp. Salomi konnte nicht angemessen behandelt werden und verstarb leider während unseres Praktikums.


Wenn ihr die nötigen Mittel und Ressourcen hättet – was würdet ihr im Projekt machen?

Daraja leistet einen unglaublich wichtigen Beitrag für HIV-infizierte Menschen und zur Eindämmung der Virusverbreitung. Der Verein finanziert die notwendigen Medikamente, die sich die Betroffenen sonst nicht leisten könnten. Diese HIV-Medikamente unterdrücken das Virus, stärken das Immunsystem, verhindern die Übertragung, verlangsamen den Krankheitsverlauf und reduzieren das Risiko von Komplikationen. Der Verein hat derzeit 130 Mitglieder, und es gäbe noch mehr betroffene Personen, jedoch reichen die Ressourcen nicht aus, um die Mitgliederanzahl zu erhöhen. Könnte ich, würde ich einen zusätzlichen Sozialarbeiter oder Sozialpädagogen einstellen, die Mitgliederanzahl erhöhen und, wie schon erwähnt, die schlechte Sozialversicherungssituation verbessern. Daher würde ich für jedes Mitglied einen Beitrag zur Sozialversicherung einzahlen, um eine Versorgung bei anderen Krankheiten oder Unfällen sicherstellen zu können.


Woran denkt ihr, wenn ihr die Reise denkt (in 3 Worten)?
Dankbarkeit, Herzlichkeit, „Pole Pole“ (Kisuahel: „langsam, langsam“)

Würdet ihr wieder nach Kenia und Emali reisen?

Ja, sofort wieder! Irgendwann möchte ich unbedingt die drei Vero, Steve und Chris wiedersehen und natürlich auch die Klient*innen. Unsere Zeit dort war zwar nicht lang, aber sie war intensiv. Ich bin sehr dankbar, dass uns die zwei Sozialarbeiterinnen(Vero, Chris) und Sozialpädagoge (Steve) so liebevoll durch dieses aufregende Praktikum begleitet haben.